Ich, die Gespenster

Eine Installation Dominik Becks

 

Der Besucher betritt einen dunklen Raum, sein Blick fällt auf die Projektion, die an einer Wand erscheint und den Besucher inmitten des Raums zeigt, den er selbst soeben betreten hat. Doch was heißt das schon, „er selbst“? Das fahle Zwielicht, in dem das Bild über ihm aufleuchtet, wäre nicht einmal nötig, um daran zu erinnern, dass es immer Medien sind, von denen die Gespenster gerufen werden. Medien der Parapsychologie, Medien der Elektronik, des Lichts oder des Schalls; Phänomene, die aus einem Dunkel auftauchen, in das sie zurückkehren; Doppelgänger und Wiedergänger, die deshalb doch nicht nur Schatten sind. Immerhin könnte die Gestalt der Projektion dort schon vor ihrem Betrachter hier gewesen sein, ihn erwartet haben, ungeduldig oder gelangweilt. Und was heißt deshalb: der Betrachter habe diesen Raum „soeben“ betreten?

Und doch scheint der andere dort mich zu zeigen. Er bewegt den Arm, so wie ich das tue, macht ein paar Schritte, sobald auch ich auf und ab gehe. Er dreht den Kopf wie ich, zumindest bis ich ihn in dieser Drehung aus den Augen verloren habe. Jede meiner Bewegungen vollzieht er nach. Aber das macht ihn auch zu etwas anderem als einem bloßen Schatten. Die Projektion liefert mir kein Spiegelbild, die Perspektive, in der die Gestalt mir erscheint, ist nicht die meine. Wo ich meinen Standort im Raum nach rechts verschiebe, da bewegt sie sich auf die linke Bildseite. Wo ich meinen rechten Arm hebe, da tut sie dies ebenso, doch für mich linkerhand. Dies mag der Effekt der Kamera sein, die schräg oben in einer Ecke des Raums schwebt und die Szene unbestechlich ins Bild zu setzen scheint.

Unbestechlich, denn so würde ich mich wohl sehen, wäre ich an ihrer Stelle. Und sehe ich mich je anders als an einer anderen Stelle? Um mich zu identifizieren, muss ich bereits aus mir her­ausgetreten sein, muss ich von mir getrennt sein, muss ich den anderen Blickwinkel kalkuliert und mit etwas gerechnet haben, was mich wie durch einen Spalt von mir getrennt hat. Ich muss zu meinem eigenen Medium geworden sein. Und diesen Platz kann die Kamera dort oben lediglich vertreten. Sie besetzt einen Spalt, vertritt einen Riss, der mich von mir selbst trennt. Doch wie in jedem Substitut verbirgt sie ihn nur, indem sie ihn substituiert und insofern zeigt.

Sie markiert eine Öffnung, die nicht etwa wieder schließt, sondern einlädt. Unversehens sind jetzt neue Gestalten im Raum aufgetaucht, um dessen Wände zu bevölkern. Andere Schemen, fremde Gesichter: Zumindest erscheinen sie in der Projektion dort oben, zeichnen sie sich neben mir oder hinter meinem Rücken an den Wänden ab, die mich umgeben. Unwillkürlich drehe ich mich um, um sie ins Auge zu fassen. Doch nichts, was an der Wand zu sehen wäre. Der Blick wandert erneut zur Projektion, um sich zu vergewissern, und tatsächlich, noch immer zeigen sich dort die Schemen hinter mir. Sie geben sich allein der Kamera zu sehen, und was wäre weniger verwunderlich: immer präsentieren sich die Toten nur, wo sie von Medien eingeladen sind. Sie umgeben mich, verwandeln mich selbst in eines der Gespenster. Was also, noch einmal, heißt: „er selbst“? Und „soeben“?

In Dominik Becks Installationen werden Welten geschaffen, die einem Universum der Kontrolle angehören und die der Wahrnehmung ein umso klaffenderes Leck beibringen. Vor Jahren schon war es ein System zur Überwachung von Gespenstern, das sich über mehrere Räume eines Hauses verteilte und die Bewegung paranormaler Erscheinungen durch Wände und Decken verfolgte. Oder das Überwachungssystem eines Supermarkts, das aufzeichnete, wie ein Kunde den Regalen nicht etwa Waren entnahm, sondern mitgebrachte Gegenstände dort hinterließ. Nie schließen sich diese Welten also ab. Dominik Becks Installationen registrieren Störungen, die in Medien der Überwachung und Kontrolle auftauchen, ohne von ihnen behoben zu werden. Umso subtiler befallen sie die Medien der Kontrolle selbst, stören sie sie mit kaum merklichen Monstrositäten auf. Überall kommt etwas aus einem Abstand hinzu, der das Gegenwärtige von sich trennt und verdoppelt hat, um ein Gegenwärtiges als gegenwärtig erst in Erscheinung treten zu lassen: in Distanz zu sich.

Keineswegs geht es deshalb um die Erzeugung eines Schauers, um eine Inszenierung des Unheimlichen. Nicht Gespenstergeschichten werden hier erzählt. Oder wo sie, spielerisch von Fall zu Fall, zitiert werden, da lediglich, um an den Fiktionen einer Gegenwart zu rütteln, von denen die Technologien der Überwachung und Kontrolle beherrscht werden. Denn bedingungslos unterstehen sie einem Diktat der Gegenwart, das sie selbst zu vollstrecken suchen. Was aber könnte diese Systeme zugleich einschneidender ihrer Virtualisierung aussetzen, die sich in diesen Doppelgängern, Wiedergängern ebenso ankündigt, anzeigt wie verbirgt? Bereits die Schatten, die Schemen, die Phänomene und Phantome werden einem Willen zur Kontrolle bedrohlich genug. Sie entziehen der Gegenwart die Gegenwart. Sie erschüttern Systeme des Rasters und Arrests, die diese Gegenwart festhalten, identifizieren und einweisen sollen. Die Doppelgänger zeugen immer neu vom Spalt, der die Gegenwart von sich getrennt hat und nur deshalb „gegenwärtig“ sein lässt. Und sollte beim Namen genannt werden, was die Systeme zum Rasen bringt, dann dass sie jene bedrohlichen Schemen und Phantome nur immer neu wiederholen, derer sie doch Herr werden sollen.

Was ein gebräuchlicher Jargon eine Paranoia nennt, findet hier seinen Ausgangspunkt. Des Spalts, des Abstands, des Risses nämlich wird sie nicht Herr. Wo sich Gespenster Zutritt verschaffen, da führen sie in die Medien der Kontrolle etwas ein, was jenen Willen zur Interpretation überfordert, der sie inspiriert. Denn die Gespenster sind nicht bloße Schatten, die ein gegenwärtiger Augenblick werfen würde; umso weniger sprechen sie, wo sie das Wort ergreifen, von einer einfachen, mit sich synchronen Gegenwart. Der Riss, der mich von mir trennt, der Spalt, der mich in mir verdoppelt, wiederholt sich als sprunghaftes Gefüge, sich beständig neu herstellende und verschiebende Verkettung, offene Struktur von Ereignissen.

Sie tritt in Dominik Becks Installationen hervor.

 

 

> Hans-Joachim Lenger <

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